über Johanna Hess

Michael Hübl in dem Buch „Die Farbe hat mich"
Positionen zur nicht-gegenständlichen Malerei
Samtig, sandig, offen

Farbe gehört zum Grundwortschatz der Moderne. Dadurch ist der Begriff Farbe missverständlich geworden. Als es zu Beginn des 20. Jahrhunderts darum ging, Kunst und Wissenschaft miteinander kompatibel zu machen, indem man die gestalterischen Mittel exakt und unzweideutig benennt, zählt die Farbe - neben Fläche, Raum, Zeit - zu den objektiven Sachverhalten, auf die sich die künstlerische Produktion stützen sollte. Farbe wurde zur Basisfunktion, und diese Einschränkung haftete ihr in der Wahrnehmung mitunter selbst dann noch an, als die monochrome Malerei über das Medium Farbe an Bereiche rührte, die mit sinnlichem Erleben, spiritueller Erfahrung oder schierem ästhetischen Genuss zu tun hatten. Dabei war die begriffliche und formale Verknappung der Farbe auf das Konkrete notwendig gewesen, um sie ihrer symbolischen Befrachtung zu entledigen: Eine Farbe wie Gelb konnte nun verwendet werden, ohne dass sie unwillkürlich kulturell determinierte Deutungen nach sich zog, während etwa das christliche Mittelalter mit ihr noch Krankheit, Ekel, das Böse verbunden hatte oder im China der Ch'ing-Dynastie die Farbe Gelb ausschließlich dem Kaiser vorbehalten geweser* war.1 Die Moderne hat die Farbe aus dem Korsett festgezurrter Bedeutung befreit; als Alexander Rodtschenko 1921 drei Bilder in den Primärfarben malte, so in der Erkenntnis: „Alles ist zu Ende. Es sind die Grundfarben. Jede Fläche ist eine Fläche, und es soll keine Darstellung mehr geben. Jede Fläche hat bis an ihre Grenzen eine einzige Fläche.
In einem Punkt gilt dieser Satz nicht zuletzt für die Arbeiten von Johanna Hess: Sie zeigen, schildern, stellen Farbe dar und nichts als Farbe. Tatsächlich hat auch bei Hess jede Fläche „bis an ihre Grenzen eine einzige Farbe". Ansonsten ist so ziemlich alles anders: Es wird nicht die gesamte Leinwand einheitlich monochrom belegt, sondern die Künstlerin unterteilt das meist quadratische Format in mehrere Zonen. Und statt sich bloß auf Rot, Gelb oder Blau zu beschränken, verwendet sie Pigmente, deren Name bereits Differenzierung signalisiert: Echtgelb, Kadmiumgelb, Kobaltblau. Manchmal legen diese Bezeichnungen weitreichende Assoziationen nahe: das dunkle Meer des Ultramarins, den sternenlosen Himmel hinter dem Nachtblau. Aber Johanna Hess sucht nicht nach semantischen Bindegliedern - weder in der Natur noch sonstwo. Sie benötigt keinen inhaltlichen Haftgrund, der die Farbe mit Gefühlen, Stimmungen oder Botschaften auflädt. Blau bleibt Blau, Gelb Gelb. Dabei ist diese Malerei von flagrant sinnlicher Präsenz. Obschon Hess den Überwältigungsgestus eines Barnett Newman meidet und ihre Bilder in vergleichsweise bescheidenen Maßen hält, umfängt einen die Farbe wie dichte Vegetation, steht sie mit stupender Direktheit vor Augen. Das hat damit zu tun, dass Johanna Hess, die einmal als Bildhauerin begann, die Farbe als Material behandelt, die Materialität der Farbe gleichsam heraus modelliert.
Sie muss dazu nicht in pastose Dreidimensionalität ausweichen. Die schier greifbare Farbwirkung stellt sich ein, weil Johanna Hess sozusagen die Eigenständigkeit des Pigments unterstützt und hervorhebt, statt die Partikel bis zur Ununterscheidbarkeit in Bindemittel aufgehen zu lassen. Die Farbe dient nicht so sehr als Mittel, diverse optische Frequenzen zu stimulieren, bis die einzelnen Wellenlängen zu einem visuellen Eindruck verschmelzen. Sie ist vielmehr im doppelten Sinne Gegenstand der Malerei. Johanna Hess thematisiert Farbe, indem sie deren Stofflichkeit betont. Nicht, dass sie deshalb noch einmal die Frage nach der Repräsentation aufriefe, der die Moderne mit der Feststellung begegnete, dass die eigentlich gegenständlichen Bilder die ungegenständlichen Malereien seien, weil hier das Objekt und seine Wiedergabe in eins fallen, Gegenstand und Darstellung identisch sind. Farbe ist bei Johanna Hess Materie und als solche modellierbar. Das heißt auch: Sie lässt sich in unterschiedliche semantische Zusammenhänge bringen, birgt sie vielleicht sogar.
Hess unterläuft damit die Vorstellung vom Bild als distinkter formaler Setzung; bis zu einem gewissen Grad erscheint es bei ihr als momenthafte Fixierung innerhalb eines fortgesetzten Prozesses. Das Medium dieses Prozesses ist die mal samtige, mal sandige, dabei dichte, fast kompakte Malerei, die sich fernhält vom Anspruch der Absolutierung und die sich dem „apokalyptischen Diskurs"3 von den monochromen Tafeln als den letzten, unumstößlich gültigen Bildern versagt; eine Malerei, die eben keine festen Grenzen zieht, sondern, wie im Fall von Johanna Hess, über brüchige Farbkanten, großzügige Verschleifungen, lockere Schichtungen und andere unscharfe Übergänge kenntlich macht, dass Bilder jenseits aller potentiellen Symbolik und Inhaltlichkeit offene Spannungsfelder sind. Sie könnten als Modelle einer Welt gelten, die einheitlich erscheint, und doch in verwirrend vielfältige, heterogene, sprunghafte und zufällige Einzelaspekte zerfällt, während die Bilder nichts anderes zeigen als die Wirklichkeit der Farbe.
1 Vgl. hierzu Alexander Theroux, Gelb. Anleitungen eine Farbe zu lesen. Hamburg 1998, S. 26 F. Theroux bietet hier und in weiteren Publikationen auch zahlreiche Hinweise zu anderen symbolischen und subjektiven Deutungen der Farben.
2 Zit. nach: Von der Malerei zum Design - Russische konstruktivistische Kunst der zwanziger Jahre, Köln 1981, S. 191
3 Hanne Loreck, Malerei heute - ein AnaCHROMismus? In: CHROMA. Malerei der neunziger Jahre, Nürnberg 1999, o. P.


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